Professor Rolf Lieberknecht im Gespräch mit Karlheinz Reimann über seine Chemnitzer Unternehmerfamilie und ein heute denkmalgeschütztes Haus.

Geschrieben im September 1995, überarbeitet im August 2014

Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges war Mitteldeutschland mit Sachsen, Thüringen und Sachsenanhalt die industriell am modernsten entwickelte Region Deutschlands. Die sowjetische Besatzungszone hatte 488.000 Betriebe mit 3,6 Millionen Beschäftigten, für damalige Verhältnisse ein sehr fortgeschrittener Rationalisierungsgrad, besser als jede der drei Westzonen. Hier befanden sich Autofirmen wie Autounion in Chemnitz, BMW in Eisenach und das hochmoderne Opelwerk in Brandenburg mit vielen Zulieferbetrieben, die weltweit modernsten Zweige der Elektrotechnik, Feinmechanik und Optik, Chemie, Pharmazie, Film- und Kunststoffproduktion, Textil- und Bekleidungsindustrie sowie Glas-, Keramik- und Möbelindustrie mit leistungsstarken Mittelstandsbetrieben und vielen kreativen Unternehmern. Obwohl durch Bomben am Ende des Krieges und die umfangreiche sowjetische Demontage verheerende Schäden entstanden sind, wären durch die günstigen Voraussetzungen die Lücken im Osten unter westlichen Verhältnissen schneller geschlossen worden als in den Westzonen, meint Günter Schabowski. Aber Hundertausende Unternehmer wurden in den folgenden Jahren enteignet und systematisch vertrieben (wie hier die sächsische Unternehmerfamilie Lieberknecht, K.R.) und die Betriebe sozialistischer Planwirtschaft nach sowjetischem Vorbild unterworfen (1). 

 

Karlheinz Reimann:
Herr Professor Lieberknecht, Sie waren an der Universität Duisburg-Essen und an der Folkwang Universität der Künste ebenfalls in Essen tätig und hatten dort einen Lehrstuhl für Bildhauerei und Dreidimensionale Gestaltung. Zum anderen entstammen Sie einer alteingesessenen Chemnitzer Unternehmerfamilie. Wie kam es dazu, können Sie etwas über Ihren Lebensweg und das Wirken Ihrer Vorfahren in Chemnitz berichten?

Professor Lieberknecht:
Die Geschichte der Familie Lieberknecht ist in Chemnitz, Oberlungwitz und Hohenstein-Ernstthal über mehrere Generationen eng mit der Entwicklung und Herstellung von Wirkmaschinen verbunden. Sie reflektiert die Historie einer erfolgreichen Fabrikantenfamilie in der Zeit des Übergangs von der Manufaktur/Werkstatt zur Fabrik im Prozess der Industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts. Erfindergeist, unternehmerisches Denken und Handeln sowie Bildung und Wissen auf hohem technischem und auch internationalem Niveau hat den Erfolg solcher Gründerfamilien ausgemacht und die Wirtschaftskraft der Region mitbegründet. Außerdem gehörte zum Selbstverständnis und Standesbewusstsein des Unternehmers soziales und kulturelles Engagement sowie die Übernahme von staatsbürgerlichen Ämtern und Verpflichtungen. Die Söhne des 1807 geborenen Friedrich Wilhelm Lieberknecht, also meines Ururgroßvaters, gründeten 1873 in Oberlungwitz eine Firma für die Weiterentwicklung des Wirkmaschinenbaus. Sie konstruierten und bauten in ihrer Fabrik eine Pagetwirkmaschine mit einer stabileren und leistungsfähigeren Technologie, die später unter dem Namen Lieberknecht-Maschine ein Begriff wurde. Zahlreiche technische Neuerungen ließen sie als Erfindungen der Gebrüder Lieberknecht beim Kaiserlichen Patentamt patentieren. 1880 trennten sich die Brüder. Theodor Cornelius Lieberknecht, der wohl Kreativere von beiden, übersiedelte 1881, dem Geburtsjahr seines Sohnes und meines Großvaters Paul Theodor Lieberknecht, nach Hohenstein-Ernsttahl und gründete dort seine Wirkmaschinenfabrik. Mein Großvater kannte den Strumpfmaschinenbau demnach von Kindesbeinen an und wuchs im Klima ständigen Weiterentwickelns dieser Technologie auf. Von seinem 15. Lebensjahr an war er im Strumpfmaschinenbau tätig und hat in den vielen Jahren seines „Wirkens" eine außerordentlich schöpferische Tätigkeit entfaltet. 1904 konstruierte er in Hohenstein-Ernsttahl die erste Cottonmaschine mit neuem Fadenführer-Stoßdämpferpatent. Sie wurde später von Schubert & Salzer übernommen, als alleiniges Modell produziert und war als HSL-Maschine (Hohensteiner Schnellläufer) Jahrzehnte lang führend. 1909 heiratete er Elisabeth Nevoigt, Tochter einer ebenfalls angesehenen Chemnitzer Fabrikantenfamilie, und es wurden 1910 mein Vater Friedrich und 1911 sein Bruder Walter geboren. Als Strumpfmaschinenbauer hat er dann neben anderen Neuerungen die umwälzend wirkende Erfindung des ihm patentierten „Kettenkulierzeuges" gemacht, das lange Zeit in fast allen Cottonmaschinenfabriken Europas angewandt wurde. In Einsiedel erfand er dann auch die in der Strumpfindustrie wiederum eine Umwälzung herbeiführende und berühmt gewordene „Combistrumpfherstellung" auf Combi- und Fersenmaschinen. Der zweite Weltkrieg und die Zeit danach haben herbe Rückschläge und Enttäuschungen mit sich gebracht. 1952 entschloss er sich im Alter von 71 Jahren aufgrund der Bedingungen, die er hier hatte und auf Anraten der Brüder Ernst und Johannes Bahner (ELBEO) in den Westen nach Mannheim überzusiedeln, was damals für kurze Zeit möglich war. Die Idee war, mit meinem Vater, der ebenfalls eine internationale Ausbildung als Maschinenbauingenieur und Diplomvolkswirt hatte und wegen der Heirat mit meiner Mutter, die bereits im Westen lebte, einen unternehmerischen Neuanfang zu erreichen. Die Chancen schienen zunächst aussichtsreich zu sein. Paul Lieberknecht war in der mittlerweile im Westen operierenden Branche ein Begriff, die Patente waren immer noch wertvoll. Außerdem arbeitete und forschte er auch in Mannheim weiter an einer im Zweitakt arbeitenden Cottonmaschine. Mit 75 Jahren hatten seine Patente und patentamtlichen Schutzrechte schließlich die stattliche Zahl von 75 erreicht. Doch der plötzliche und unerwartete Tod meines Vaters 1954 im Alter von 44 Jahren an Spätfolgen des Krieges machte jegliche Zukunftsperspektive zunichte. Der alte Herr verlor nun den Mut und die Zuversicht, er schätzte wohl auch die technische Entwicklung des Strumpfmaschinenbaus nicht mehr richtig ein und verstarb 80-jährig beim Mittagsschlaf. Meine Großmutter lebte noch 20 Jahre länger in Mannheim und war eine Ikone meiner Kindheit. Dies ist eine lange Antwort, aber nur eine Kurzfassung dessen, was die Höhen und Tiefen der Familie Lieberknecht ausmacht.

Karlheinz Reimann:
Chemnitz war vor dem Krieg eine prosperierende Stadt des Textil- und Werkzeugmaschinenbaus. Allein Richard Hartmann hatte um 1900 im Lokomotivbau 6.000 Beschäftigte. Die Auto-Union wurde 1932 in Chemnitz gegründet, heute wissen viele im Westen nicht, woher die vier Ringe des Audi-Logos eigentlich stammen. Man nannte Chemnitz das „Sächsische Manchester", und die Stadt hatte 1936 einmal 360.000 Einwohner. Die Geschichte Ihrer Familie beschreibt an einem Beispiel die Abwanderung vieler fähiger Köpfe, die unmittelbar mit dem Ende des Krieges durch die ungewisse Perspektive für private Unternehmen in der sowjetischen Besatzungszone begann. Der Politik gelingt es bis heute nur langsam, die Abwanderung von jungen Menschen aufzuhalten und die Zuwanderung von kreativen Köpfen attraktiv zu machen. Seit wann und unter welchen Umständen haben Sie den Weg zurück zu den Wurzeln Ihrer Familie gesucht?

Professor Lieberknecht:
Da mein Vater früh verstarb, ich kann mich bis auf wenige kleine Momente kaum an ihn erinnern, wurden meine Großeltern wichtige Bezugspersonen für mich. Ihre Bilder, Beschreibungen und Geschichten um das Leben im Einsiedler Haus haben meine Kindheit geprägt. Ich habe ihre Wehmut gespürt, nicht mehr dahin zurückkehren zu können. Oft gab es Gespräche über die politische Zukunft in Ost und West, denen ich als etwa 9jähiger Junge zugehört habe, vieles nicht verstehend, aber mir ist die Zuversicht meiner Großeltern gut in Erinnerung, dass sie selbst nicht mehr, aber ich später einmal im Einsiedler Haus leben würde. Mit der gleichen ungebrochenen Zuversicht bat mich meine Großmutter Jahrzehnte später, kurz vor ihrem Tod 1980, dass ich bitte die große Hängebuche vor dem Haus Einsiedel nicht fällen sollte, denn das sei ein besonders wertvoller Baum. Niemand hat damals die Wende vorhersehen können. Ich selbst hatte als junger bildender Künstler ganz andere Ziele, lebte in Berlin, war in England und Amerika unterwegs. Und doch brauchte es nur weitere neun Jahre, bis ich zwischen Weihnachten und Neujahr 1989/90 das erste Mal vor dem Gartentor des Einsiedler Anwesens stand, ohne mich zu trauen, das Gelände zu betreten. Ein Freund, der mich bei einem weiteren Besuch kurz danach begleitete, sagte: Du musst da rein gehen, nur dann wirst du spüren, ob es was mit dir zu tun hat. Und es hatte in der Tat mit mir zu tun, es traf mich wie ein Blitz, ich konnte körperlich spüren, wie ich durch meine Schuhsohlen hindurch Wurzeln schlug. Ich wusste auf Anhieb, hier gehörst du hin.

Karlheinz Reimann:
Kommen wir nun auf einige Besonderheiten Ihres Hauses zu sprechen. Nach der Flurstücksbezeichnung und auch nach der Postanschrift gehört Ihr Anwesen zu Einsiedel. In unmittelbarer Nähe zum „Goldenen Hahn" gelegen, fühlen Sie sich aber auch eng mit Altenhain verbunden. Gab es damit schon mal Probleme?

Professor Lieberknecht:
Mein Großvater hat 1927 beim Gemeindeamt Einsiedel Antrag auf Errichtung eines Wohnhauses gestellt. Im Beschluss des Gemeinderates vom 2.6.1927 heißt es: „Gegen den Bau des Wohnhauses an der Zschopauer Straße durch Herrn Fabrikdirektor Lieberknecht beschließt der Ausschuss, Bedenken nicht zu erheben und Bedingungen nicht zu stellen. Die Versorgung mit Gas und Wasser und die Leistung von Polizeischutz wird abgelehnt." Auf die Versorgung mit Gas und Wasser hat er dann verzichtet, weil die Versorgung durch Einsiedel damals ohnehin nicht möglich war. Den nächtlichen Polizeischutz und Wachtdienst hat er nach persönlichen Verhandlungen mit der Gemeinde Altenhain von dort bekommen, allerdings gegen die Entrichtung von jährlich 100 Mark. Und bei einem Schwelbrand am 6. Mai 1931, bei dem das Haus um ein Haar in Flammen aufgegangen wäre, haben die Altenhainer- und die Einsiedler Feuerwehr in kongenialem Zusammenwirken das Schlimmste verhindert. Allerdings waren die Altenhainer schneller da. Auf der Grenze zwischen Einsiedel und Altenhain lebt man also in doppelter Obhut. Für mich ist die Bezeichnung „Haus Einsiedel" in der Zwischenzeit Programm geworden, und der Begriff passt gut zu der Lebensart, die ich und meine Frau Claudia, die in Berlin im Bereich der darstellenden Kunst tätig ist, hier pflegen möchten.

lieberknecht 001rr Denkmalgeschütztes Haus Lieberknecht  (Foto: K. Reimann)

 

Karlheinz Reimann:
Können Sie etwas zur Historie des Hauses erzählen? Wie haben Sie es bei Ihrer Rückkehr vorgefunden und was konnten Sie zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes erreichen?

Professor Lieberknecht.:
Das Einfamilienhaus in Blockbauweise wurde als industriell vorgefertigtes Holzhaus im Auftrag des Bauherrn Paul Lieberknecht 1927 von der Herstellerfirma Christoph & Unmack aus Niesky errichtet. In Katalogen des Unternehmens ist es mit der Bezeichnung "Blockhaus Muskau" als einer von ca. 40 kleineren und größeren Blockhaustypen verzeichnet. Christoph & Unmack gehörte bis etwa 1940 zu den führenden Unternehmen des industriell vorgefertigten Holzhausbaus. Bereits vor dem ersten Weltkrieg wurde in Niesky die Produktion von Fertighäusern entwickelt, und in den zwanziger Jahren zeichneten namhafte Architekten wie Poelzig, Scharoun und Wachsmann für Entwürfe einzelner Haustypen verantwortlich. Neben der "Blockbauweise" wurden auch andere Baukonstruktionen entwickelt, wie z.B. die "Paneelbauweise " oder der von Konrad Wachsmann während seiner Zeit als Chefarchitekt (1926-29) entwickelte "Spantenbau". Hierfür gilt das für Albert Einstein in Caputh bei Potsdam errichtete Wohnhaus als wohl berühmtestes Beispiel. Für meinen Großvater, der mit seiner eigenen Arbeit immer technische Innovationen anstrebte, war es konsequent, nicht ein Haus in konventioneller Bauweise zu errichten, sondern auf das industrielle Bauen zu setzen. Häuser dieser Art wurden seinerzeit auf Weltausstellungen präsentiert. Das "Blockhaus Muskau" ist im Wesentlichen in Originalform erhalten. Schon 1927 gehörte es zum Standard des Unternehmens Christoph & Unmack, spezielle Wünsche des Bauherrn einzuarbeiten, und auch von Herstellerseite wurden verschiedene Varianten des Innenausbaus angeboten. Bei dem hier beschriebenen Gebäude sind geringfügige Grundrissänderungen, die den Wert des Originals aber nicht mindern, später hinzugekommen.

Auf dem 15.000qm großen Grundstück wurde das Haus mit seiner Eingangsseite in Blickbeziehung zu Schloss Augustusburg ausgerichtet. Zur parkartigen Gestaltung des Gartens gehört darum ganz wesentlich die in axialer Beziehung zur Augustusburg stehende und als Einfahrt dienende Birkenallee. Die axiale Blickbeziehung zur Augustusburg ist Grundlage der architektonischen Gestaltung des Gesamtensembles von Haus und Park. Der parkartige Garten selbst mit wertvollem Baumbestand, einem mit Rhododendronbuschwerk eingefassten Rondell, einem Teich und verschiedenen Gartenbauwerken ist im Stil eines englischen Landschaftsgartens angelegt, wie überhaupt nach englischem Vorbild in den zwanziger Jahren das Wohnen im Grünen erstrebenswert wurde.

Ab 1952, dem Jahr der legalen Übersiedlung meiner Großeltern nach Mannheim, wurde die Verwaltung von Haus und Park zunächst durch eine von meinem Großvater beauftragte private Immobilienfirma geleistet und später bis 1990 nach den Gesetzen der DDR staatlich verwaltet. Über lange Zeit während der DDR-Ära wurde das Gebäude als Zweifamilienhaus vermietet. Die für das getrennte Wohnen von zwei Familien durchgeführten Ein- und Umbauten im Haus wurden nach Auflösung der Verwaltung 1990 und seit unter Denkmalschutzstellung von mir restlos zurückgebaut. Das Gebäude wurde dann in Abstimmung mit dem Denkmalschutz und mit der fachkundigen Hilfe des Tischlermeisters Johannes Weinhold aus Kleinolbersdorf saniert und weitgehend originalgetreu restauriert. Der Park wurde zu Zeiten der staatlichen Verwaltung vielfach unterteilt, glücklicherweise weitgehend mit Rücksicht auf den originalen alten Baumbestand. Auf den Teilflächen waren von verschiedenen Pächtern Wochenendbungalows und Ferienhäuser errichtet worden. Nach Auflösung der Pachtverträge wurden seit 1993 die nicht zum Original gehörenden Baulichkeiten sukzessive entfernt und die Wiederherstellung der ursprünglichen gärtnerischen Gestaltung des Parks vorgenommen. Fehlende, baufällige und restaurierungsbedürftige Gartenbauwerke wie Brunnenhaus, Taubenhaus, Gewächshaus und Lustpavillon wurden ersetzt oder instand gesetzt. Insgesamt sind die bisher durchgeführten Sanierungs- und Restaurierungsarbeiten an Gebäude und Park mit größtmöglicher Behutsamkeit und mit Sinn für den Wert des Originals durchgeführt worden. Entsprechend ist die Beurteilung der Denkmalschutzbehörden.

Karlheinz Reimann:
Faszinierend ist nicht nur das denkmalgeschützte Haus, sondern auch der weiträumige Park, bestückt mit einer Anzahl von Ihnen geschaffener Kunstwerke – den mechanischen Windspielen. Ist das jetzt der Endstand oder was haben Sie da noch vor?

Professor Lieberknecht.:
Bevor ich in England bildende Kunst studiert habe, hatte ich schon an der TU Berlin ein abgeschlossenes Architekturstudium absolviert. So bietet Einsiedel für mich die Gelegenheit, mich auf fast allen Gebieten von Kunst und Gestaltung im Sinne eines Gesamtkunstwerkes auszuleben. Da ist der aktive Denkmalschutz mit dem Ziel, im Respekt vor dem Original auch jetztzeitige Lebensformen zu konzipieren und baulich zu realisieren, da ist architektonische Gestaltung am Haus und an den Gartenbauwerken zu leisten. Im Haus selbst geht es um interior design, Lichtgestaltung, Möbeldesign, Farbgebung usw. Draußen geht es um Garten- und Landschaftsgestaltung und schließlich um bildende Kunst, denn der parkartige Garten wächst mit der Zeit zu einem Skulpturenpark für meine eigenen Arbeiten und die von befreundeten Künstlerkollegen. Insbesondere meine windbewegten Skulpturen fühlen sich hier wohl, und es ist ein großes Glück, dass ich in großem Maßstab hier diesen hochrangigen Bezug zu den Energien von Natur und Landschaft habe. Von einem Endstand kann keine Rede sein. Ein Bauwerk ist nach Mies van der Rohe wie auch ein Garten ein lebendiger Organismus. Ein Künstler kennt zwar existenzielle Not, aber keine Arbeitslosigkeit, noch kennt er den Ruhestand. Wenn sich bei ihm das Gefühl einstellt, alles geschafft zu haben, hat er sich nicht genug vorgenommen.

Karlheinz Reimann:
Wer einmal durch Südengland und besonders durch Cornwall reist, kann an vielen Orten gegen ein kleines Salär prächtig angelegte und gepflegte, private Gärten besichtigen. Wird es bei Ihnen hier auch einmal einen „Tag des offenen Gartens" geben, an dem Besucher Ihre Kunstwerke im Park anschauen können?

Professor Lieberknecht
Diese Frage kommt mir sehr gelegen. Meine Frau und ich haben vor einiger Zeit eine Englandreise unternommen, bei der wir zahlreiche denkmalgeschützte Anwesen und Gärten in Kent, Devon und Cornwall besucht haben. Wir sind mit einer Menge neuer Ideen für Einsiedel zurückgekehrt. In England werden viele ehemalige oder noch private denkmalgeschützte Anwesen durch den National Trust gepflegt und betreut. Die Öffentlichkeit hat in begrenztem Maße Zugang und kann die Ästhetik dieser Orte genießen. Der National Trust ist eine der nationalen Stiftungen in England, die sich um den Erhalt und die öffentliche Vermittlung wertvoller Denkmäler kümmert. In Deutschland gibt es die „Deutsche Stiftung Denkmalschutz". Wir haben aus privatem Engagement immer häufiger eine interessierte Fachöffentlichkeit zu Gast.

Karlheinz Reimann:
Herr Professor Lieberknecht, mit Ihrem Wirken in Essen und Chemnitz tragen Sie ein wenig bei zum Zusammenwachsen dessen, was zusammen gehört und früher zusammen war. Das ist erwähnenswert in einer Zeit, in der immer noch darüber gesprochen wird, was uns in Ost und West trennt. Ich danke Ihnen herzlich für das interessante Gespräch. Inzwischen sind Sie emeritiert und nun überwiegend im Einsiedler Anwesen tätig. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit sowohl für restliche Arbeiten in Essen als auch für Ihren Ruhestand - falls es ihn geben sollte – hier in Chemnitz.

Professor Lieberknecht:
Lieber Herr Reimann, Sie bemühen sich seit Jahren engagiert und zuweilen mit viel Mut um die Aufarbeitung von wichtigen Themen der Stadt und der Region. Meist berühren Ihre Recherchen zur Vergangenheit viel wichtigere Fragen als die einer privaten Familiengeschichte. Ich danke für Ihre Initiative zu diesem Gespräch.


Anmerkungen:

(1)  Schabowski, Günter „Wir haben fast alles falsch gemacht", Die letzten Tage der DDR,    Ullstein Verlage Berlin 2009, Seite 216 ff.