von Karlheinz Reimann,

geschrieben im April 2013

 

Unsere Kommunikation heute

Heute steht in Kleinolbersdorf-Altenhain für jeden Haushalt ein Telefonanschluss zur Verfügung. Man tastet am Apparat die gewünschte Rufnummer ein und kurz darauf meldet sich mit großer Wahrscheinlichkeit der Angerufene, egal ob es eine Arztpraxis in Chemnitz ist, die Verwandten in Frankfurt am Main oder die Freunde in Namibia sind. Dabei müsste es korrekt nicht Telefonnetz, sondern Kommunikationsnetz heißen. Denn beginnend in den neunziger Jahren wurde das Telefonnetz durch ISDN und DSL zum digitalen Multimedianetz aufgerüstet.

Wer es möchte, versendet heute seine Post vom eigenen Computer als E-Mail an nahe oder ferne Empfänger in aller Welt. Nach wenigen Sekunden sind Text und digitale Fotos dort auf dem Heimcomputer abrufbar. Wenn der Sohn am Abend eines Urlaubstages in Südafrika seine Fotos ins Internet stellt, kann man die Bilder aus dem 9.400 Kilometer entfernten Kapstadt nach wenigen Sekunden in Chemnitz auf dem Computer anschauen,   ein wenig als wäre man heute dabei gewesen. Oder man führt über Skype ein Videogespräch mit der Tochter in Toronto und die Großeltern in Dresden können dabei auf dem Bildschirm die ersten Laufversuche ihrer kleinen Enkeltochter bestaunen. Durch die Kommunikationsmöglichkeiten von heute haben sich die Dimensionen von Raum und Zeit drastisch verringert. Menschen können trotz riesiger Entfernungen miteinander verbunden bleiben, wie es früher nicht vorstellbar war. Firmen versenden Angebote und erteilen Aufträge elektronisch, übertragen Zeichnungen als digitale Daten. Immer öfter wird über den Online-Handel gekauft oder verkauft, von Büchern über Heimelektronik bis zu Autos oder Häusern – das Internet macht’s möglich, zeitlich unbegrenzt und für relativ kleines Geld. Dabei ist hier nur vom Festnetz mit festen Anschlüssen in der Wohnung die Rede. Das Handynetz, mit dem wir unterwegs überall telefonieren können, wobei sich das Handy immer mehr zum Minicomputer am Internet für unterwegs entwickelt hat, ist noch mal eine Welt für sich. Viele Einwohner nutzen heute die Möglichkeiten der modernen Kommunikation. Für die Jüngeren ist das alles ganz selbstverständlich. Aber die Älteren erinnern sich auch noch gut, wie es früher bei uns war.

 

Telefonieren in der DDR

In der DDR hatte in den gut versorgten ländlichen Gebieten von 15 oder 20 Haushalten etwa einer einen privaten Telefonanschluss. Dabei war eine der DDR-Erfindungen zur besseren Telefonversorgung der „Zweieranschluss“, bei dem für zwei Telefonanschlüsse nur eine Leitung vorhanden war: Wenn einer telefonierte, war das Telefon des anderen tot. In Kleinolbersdorf gab es eine einzige öffentliche Telefonzelle. Sie befand sich in dem heute abgerissenen Mehrzweckgebäude am Gemeindegut. Vom Buswarteraum aus zugänglich in einem kleinen Vorraum neben den Toiletten für Post und Frisör befand sich der Münzfernsprecher. Der kleine Raum war meist an der Wand mit Telefonnummern und obszönen Zeichnungen „verziert“, das Telefonbuch zerfleddert, Seiten herausgerissen und nicht selten der Apparat defekt. Häufig war der Münzschlitz durch einen Knopf oder Falschgeld blockiert oder der Fernsprecher automatisch vom Amt abgeschaltet, weil jemand den Hörer nicht richtig eingehängt hatte. Wer da nachts dringend einen Arzt oder Krankenwagen brauchte, weil sich eine Geburt ankündigte oder der Partner vermutlich einen Schlaganfall erlitten hatte, der war am Verzweifeln, wenn er nach dem Fußweg dorthin nicht telefonieren konnte. Nicht auszudenken, wenn da in der Nacht Feuerwehr oder Polizei gerufen werden sollten! Dieser Zustand wurde viel beklagt, aber selten kümmerte sich jemand darum. Außer zu einer „Volkswahl“ aller vier oder fünf Jahre. Da wurde der Warteraum als Wahllokal für die Siedlung Kleinolbersdorf hergerichtet. Bei der Vorbereitung dafür erhielt dann der Bürgermeister schon mal den Auftrag, auch für die Renovierung der Telefonzelle nebenan zu sorgen.  

Auch die „Westgespräche“ waren ein großes Problem. Die DDR hatte in die BRD nur eine sehr begrenzte Anzahl von Telefonleitungen geschaltet. Um bei einem Todesfall eines nahen Verwandten im Westen mit den dortigen Angehörigen zu telefonieren, musste man das Gespräch anmelden und meist stundenlang warten. Wer selbst kein Telefon hatte, saß dann vom Morgen an oft mehrere Stunden beim verständnisvollen Nachbarn mit Telefon. Manchmal musste am Abend das Gespräch wieder abgemeldet werden, um es am nächsten Tag erneut zu versuchen. Einen Brief zu schreiben war auch keine Lösung, denn ein Brief von Karl-Marx-Stadt nach Frankfurt am Main war eine Woche unterwegs. So lange brauchte die Stasi auf der Wielandstraße, um täglich etwa 4000 Briefe zu öffnen und zu lesen, bevor diese weiter befördert werden durften. Dagegen erreichten offene Ansichtskarten den Empfänger schon nach drei oder vier Tagen! Für den Antrag auf eine besuchsweise Ausreise für einige Tage in dringender Familienangelegenheit musste auch die amtliche Sterbeurkunde beigebracht werden. Da war zuweilen die Beerdigung im Westen bereits erfolgt und damit der Grund für die besuchsweise Ausreise entfallen. Hinter der Verzögerung steckte System, die Ausreise möglichst zu verhindern. Wenn eine solche Reise schließlich genehmigt wurde, dann nur für einen Ehepartner. Der andere musste quasi als Geisel in der DDR bleiben. Natürlich gab es auch in der DDR einen begrenzten Ausbau des Telefonnetzes. Dieser diente jedoch hauptsächlich zur Sicherung der Staatsmacht, also Telefon zu Hause für Machtträger der SED, Stasi, Polizei, NVA, leitende Wirtschaftsfunktionäre sowie Schwerpunkte der Volkswirtschaft. Selbst in den umfangreichen Neubaugebieten der großen Städte war bereits in der Planung eine Versorgung von nur jeder zehnten Wohnung mit einem privaten Telefonanschluss vorgesehen. Telefon für rein private Zwecke war in der DDR ohne Bedeutung und wegen des größeren Aufwandes zur Überwachung eigentlich unerwünscht. Auch deshalb haben die Werktätigen ihre privaten Telefongespräche überwiegend am Arbeitsplatz geführt. Die SED-Führung hatte nie verstanden, dass die Kommunikation der Menschen untereinander ein vitales Bedürfnis war und ihr Fehlen als schwerwiegender Mangel empfunden wurde wie auch die Unterbindung von Reisemöglichkeiten.

 

Netzausbau nach der Wende

Mit dem wirtschaftlichen Aufbruch und dem Beginn vieler Privatisierungen ab 1990 nahm der Mangel an Telefonanschlüssen ein dramatisches Ausmaß an. Wie sollten ein jetzt selbständiger Handwerker oder eine Ärztin nun in eigener Praxis arbeiten können ohne Telefon? Viele private Anträge auf Telefonanschluss lagen in Karl-Marx-Stadt bei der Deutschen Post seit über 20 Jahren vor ohne eine Aussicht auf Realisierung. Unter der Leitung des verantwortlichen Bearbeiters der Deutschen Post in der Oberen Aktienstraße waren seit drei Jahrzehnten viele Tausende Telefonanträge geprüft und die allermeisten mit seiner Unterschrift abschlägig entschieden worden. Im Frühjahr 1990 hielt Harry W. psychisch dem anschwellenden Druck nicht mehr stand und stürzte sich in seinem Arbeitszimmer aus dem Fenster, wodurch er nach wenigen Tagen verstarb. Ab 3. Oktober 1990 übernahmen nach dem Einigungsvertrag hochrangige Führungskräfte der Bundespost die Leitung der DDR-Post. Eine erste Bestandsaufnahme zeigte das ganze Ausmaß des katastrophalen Zustandes im Osten. Hier war nichts mehr zu flicken oder zu verbessern. Hier war nur noch zu verschrotten und von Null an neu aufzubauen. Man brauchte Grundstücke für neu zu errichtende Gebäude, ein vollkommen neues Kabelnetz, neue Technik in den Gebäuden und ein Heer von qualifizierten Bearbeitern und bauausführenden Firmen. In Chemnitz wurde eines der größten Fernmeldeämter Deutschlands nach westlicher Struktur aufgebaut mit zeitweilig über 3.200 Mitarbeitern, darunter über fast zehn Jahre etwa 300 Beamte der Bundespost als Helfer aus dem Raum Nürnberg, Erlangen, Bamberg, Bayreuth, Hof und Bad Kissingen. Sie brachten nicht nur ihre Arbeitskraft und ihr Wissen mit, auch alles Material und das Geld kamen aus dem Westen. Die Deutsche Telekom wurde zum größten Investor in den neuen Bundesländern. 1993 gab es in im Bereich des Fernmeldeamtes Chemnitz von Freiberg bis Plauen über 230.000 unerledigte Telefonanträge. Es kam teilweise zu dramatischen Szenen und Auseinandersetzungen der Antragsteller mit den Kundendienstmitarbeitern der Telekom. Nicht selten stand die Telekom in den Medien heftig unter Kritik. Rückschauend muss man einschätzen: Es war die einzig richtige Entscheidung, alle Experimente der DDR-Post mit militärischen Sondernetzen und Verkabelungen zu Bunkern mit einem Schlag zu beenden, sich rechtsstaatlich nach und nach vom Stasi-Personal der DDR-Post zu trennen und mit allen verfügbaren Kräften den Ausbau eines modernen Kommunikationsnetzes für Wirtschaft, Verwaltung und die Vollversorgung der Bevölkerung in der Fläche voranzutreiben. Dieses Programm war für die neuen Bundesländer auf sieben Jahre angelegt. Es wurde1998 mit einem Jahr Verzug abgeschlossen und ist eine großartige Erfolgsstory, die wir in der DDR niemals erlebt hätten.

 

Im Frühjahr 1993 kam in Kleinolbersdorf-Altenhain Telefon in die Häuser

Auf alten Ansichtskarten unserer beiden Dörfer etwa von 1930 stand oft geschrieben „Altenhain bei Einsiedel“ oder „Kleinolbersdorf bei Einsiedel“. Das hatte auch mit dem Telefon zu tun, denn Kleinolbersdorf und Altenhain waren an die kleine Telefonvermittlungsstelle in Einsiedel angeschlossen. Sie befand sich in einem winzigen Raum der Poststelle Einsiedel neben dem Bahnhof. In der DDR-Zeit war diese veraltet, völlig ausgelastet und hatte keinerlei Reserven für Erweiterungen. Das 100-paarige Kabel nach Altenhain und Kleinolbersdorf entlang der Einsiedler Talsperre war mehrmals von Blitzeinschlägen getroffen worden und nur noch eingeschränkt nutzbar. Am 7.12.1989 war im Ausweichführungsbunker des MfS Karl-Marx-Stadt auf der Dittersdorfer Höhe die WTsch-Technik (abhörsicheres Netz des Warschauer Pakts) ausgebaut worden. Am Tag danach konnten etwa 80 Bürger durch zähe Verhandlungen eine Besichtigung des an die Volkspolizei übergebenen Bunkers erzwingen. Dabei haben wir auch Kenntnisse erlangt über die Verkabelung zwischen dem Bunker und dem MfS-Objekt in Adelsberg. Seit Sommer 1990 war ich nun bei der Deutschen Post/Deutschen Telekom im Bereich Netzplanung beschäftigt und konnte auch meine Kenntnisse über vorhandene Stasi-Kabel einbringen. Dem Leiter des Fernmeldeamtes Chemnitz, Postdirektor Buhrow aus Nürnberg, einem Mann mit großer Erfahrung und menschlichem Einfühlungsvermögen, konnte der Vorschlag unterbreitet werden, das 100-paarige Sonderkabel (Sok 509) von Adelsberg zum Bunker Dittersdorfer Höhe zur beschleunigten Telefonversorgung von Kleinolbersdorf und Altenhain zu nutzen. Die interne Telefonvermittlungsstelle des MfS in Adelsberg wurde umgebaut zu einer Untervermittlungsstelle der Telekom (Rufnummer 77xxxx) und diese an die Vermittlungsstelle Chemnitz Ost (Rufnummer 7xxxxx) angeschlossen. Bei der Generaldirektion Telekom in Bonn wurde die Änderung der Netzstruktur beantragt und kurzfristig genehmigt: Kleinolbersdorf-Altenhain wurde von der Chemnitzer Entfernungszone 1 (Amt Einsiedel) mit erhöhten Gebühren abgetrennt und in das Ortsnetz Chemnitz integriert. Dies war eine Entlastung für Einsiedel und wurde auch vorausschauend auf eine später zu erwartende Eingemeindung nach Chemnitz so entschieden. Vom Sok 509 wurden zunächst 80 Doppeladern für Kleinolbersdorf und Altenhain abgezweigt. 20 Doppeladern mussten damals für den Bunker belassen werden, weil dort Stasi-Akten eingelagert waren. So konnte zunächst ein besonders dringender Bedarf an Telefonanschlüssen für neue Gewerbeanmeldungen bei uns befriedigt werden. Im Zuge des regulären Netzausbaus in unserem Gebiet wurde später ein neues 1000-paariges Kabel längs der Zschopauer Straße verlegt, um eine Vollversorgung der gesamten Fläche zu gewährleisten. In unserem „Gemeindeboten“ konnten wir zum Jahresende 1992 verkünden: „Bald Anschluss unter Ihrer Nummer – Telekom schafft es!“ Da sind wir in Kleinolbersdorf-Altenhain mit einer Wartezeit von nur drei Jahren recht gut bedient worden. Als in unserer Wohnung 1993 zum ersten Mal das Telefon klingelte, habe ich tags darauf unseren Antrag aus der DDR-Zeit, der   zweiundzwanzig Jahre alt war, den Kollegen aus Bayern als Zeitdokument geschenkt, was Anlass für „eine kleine Gaudi“ war.

In den vergangenen 20 Jahren sind neue Dienste wie DSL mit Datenraten bis 32Mbit/s eingeführt worden, die heute höhere Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des Netzes stellen. Bei den großen Leitungslängen des Kupferkabels können mit der vorliegenden Netzstruktur für weit entfernte Teilnehmer nur noch eingeschränkte Datenraten gewährleistet werden. Durch den Einsatz von Glasfaserkabeln mit wesentlich niedrigerer Dämpfung für die Hauptkabelstrecken kann eine sehr viel größere Reichweite auch für hohe Datenraten erreicht werden. Eine derartige Technik, wie beispielsweise das hybride Teilnehmer-Anschluss-System HYTAS, stand aber erst ab 1994/95 zur Verfügung. Deshalb besteht heute wieder ein Modernisierungsbedarf für das vorhandene Netz.

 Im Beilauf zum Telefonkabel war durch die Telekom auch das Breitbandkabel zur Fernseh- und Rundfunkversorgung mitverlegt worden. Anstelle der vier Fernsehprogramme DDRI, DDRII, ARD und ZDF seit 1986 aus der Gemeinschaftsantennenanlage für Kleinolbersdorf und Altenhain wurden nun von der Telekom 30 Fernsehprogramme und 30 Rundfunkprogramme in bester Qualität für jeden Haushalt angeboten. Allerdings forderte die Telekom nun den stolzen Preis von 22,50DM im Monat. Der Postminister in Bonn hatte trotz vieler Einwände aus dem einkommensschwachen Osten die monatliche Gebühr gerade um 3DM erhöht. Da hat mancher Einwohner sich lieber für einen eigenen Satellitenspiegel entschieden.  

Die Gemeinschaftsantennenanlage war von einem Arbeitskreis um Klaus-Dieter Nözel seit Anfang der achtziger Jahre konzipiert worden, nachdem sich die DDR auf der Konferenz von Helsinki 1975 zur Informationsfreiheit für ihre Bürger verpflichtet hatte. Die Antennenanlage ist von den Einwohnern mit erheblichen Arbeitsleistungen (50 Arbeitsstunden) und großem finanziellem Aufwand (1.000 Mark/DDR) ab 1985 errichtet worden. Dazu hat die Antennengemeinschaft sogar einen staatlichen Zuschuss von 130.000 Mark/DDR erhalten, weil die tiefer gelegenen Ortsteile selbst für DDR-Fernsehen als schlecht oder gar nicht versorgtes Gebiet galten. Es bedurfte großer Anstrengungen, die erheblichen Mengen der erforderlichen Koaxialkabel zu beschaffen. Die Kabel wurden teilweise direkt aus dem VEB Kabelwerk Vacha bezogen und mussten außerhalb der 5km-Zone mit eigenen Transportmitteln entgegen genommen werden, denn Vacha lag unmittelbar an der Grenze zur BRD. Für Kleinolbersdorf wurde die Antennengemeinschaft 1993 aufgelöst, nachdem das Antennensignal von der Telekom auch für den letzten Haushalt des Ausbaugebietes zur Verfügung stand. In Altenhain ist ein Rest der Gemeinschaftsantennenanlage heute noch in Betrieb. Mit der Gemeinschaftsantennenanlage wurde während der letzten DDR-Jahre das Informationsbedürfnis für alle Einwohner von Kleinolbersdorf und Altenhain, auch für Parteisekretär oder ABV, in guter Qualität gewährleistet. Mit aktuellen und wahrheitsgemäßen Informationen, zu denen die DDR-Medien immer weniger fähig waren, über nicht mehr aufzuhaltende Entwicklungen in der DDR, haben ARD und ZDF auch zu einer gewaltfreien Entwicklung im Herbst 1989 beigetragen.