von Karlheinz Reimann

Eine Glosse zum Frauentag am 8. März, geschrieben im Juni 2006

Kristin war schon eine Weile vom Schniefen und Prusten ihres Mannes wach geworden, bevor sie behutsam den Wecker abstellte und aus dem Bett schlüpfte. Sie ging ins Bad, weckte die Kinder und bereitete in der Küche das Frühstück. Dann rief sie leise ins Schlafzimmer: „Herbert, es ist Zeit aufzustehen!“ Herbert stieß noch einen kräftigen Schnarcher aus, gähnte lauthals und drehte sich auf die andere Seite. Inzwischen war die große Tochter im Bad verschwunden. Nach einer Weile setzte sich Herbert im Bett auf, kratzte sich ausgiebig den Kopf, schnäuzte wie ein Walross und kam noch etwas schlaftrunken in die Küche, nachdem er ohne Erfolg an der Badtür geklinkt hatte.

Tina war damals der Punkt auf dem i gewesen, der Kristin und Herbert vor siebzehn Jahren zum Standesamt geführt hatte. Im Bad nahm heute das Duschen, Frisieren, Schminken und Parfümieren kein Ende. Der Vater wurde ungeduldig und raunzte durch die Tür: „Was machst du eigentlich so lange da drin? Willst du zur Modelbewerbung oder vielleicht doch in die Schule?“ Tina war nun beleidigt und nahm sich erst recht Zeit. Heute ging sie ohne Abschied von Papa aus dem Haus. Die Mutter meinte, er könnte doch auch anders mit ihr sprechen, nicht so zynisch. Da beschloss Herbert, erstmal zu frühstücken. Während Kristin ihm den Kaffee eingoss, meinte sie: „Bei deinen Schweißfüßen solltest du dir angewöhnen, abends ein Fußbad zu nehmen.“ Er murmelte etwas Unverständliches und zermalmte stachelbärtig mit den ungeputzten Zähnen das Toastbrot. „Und dein Atem riecht wie fauliges Holz“, setzte sie nach. Nun reichte es Herbert. Er brannte sich eine Zigarette an, vertrieb den Holzgeruch mit dem Gestank des Glimmstängels, überflog die Zeitung und trollte sich später in das endlich freigewordene Bad. Hier schnäuzte er wieder und versuchte abzuhusten, dass es seiner Frau angst und bange wurde. „Und das jeden Morgen“, stöhnte sie leise. Als er herauskam, hatte sie ihm die Schuhe poliert, seinen Anzug ausgebürstet, ein frisches Hemd und eine passende Krawatte hingelegt und dazu das neue After Shave, das sie gestern mitgebracht hatte, als sie beim Frisör war. Ein betörender Duft durchströmte den Raum, als er ging. „Tschüß, bis heute Abend“, sagte er kurz, ging zum Auto und fuhr davon. Sie wollte ihm nachwinken, aber sein Blick zurück war so kurz, dass sie damit zu spät gekommen wäre. Ihre Augen hatten jetzt einen Ausdruck von Enttäuschung und Traurigkeit. Die neue Frisur hatte er auch nicht bemerkt.

In seinem Büro roch es bereits nach frischem Kaffee. „Sechs Briefe habe ich gestern noch geschrieben. Sie liegen in der Mappe zur Unterschrift bereit. Möchten Sie vielleicht eine Tasse Kaffee, Herr Dr. Hirtenbach?“ „Oh ja bitte, Fräulein Linde“ sagte er mit betonter Aufmerksamkeit, und später „Ihr Kaffee ist wirklich ganz ausgezeichnet“. Sie legte ihm die Mappe vor und gab noch einige Erläuterungen, die er alle bereits kannte. Dazu beugte sie sich weit nach vorn und kam seinem Gesicht ganz nahe, um den exotischen Duft seiner Haut zu spüren. Sein Blick verfing sich tief in ihrem Dekolleté, mindestens sieben Sekunden länger, als es der Anstand geboten hätte. „Sehr reizvoll“, schoss es ihm durch den Kopf, während unübersehbar eine Röte in sein Gesicht stieg. Sie hatte es sehr wohl bemerkt, gab sich natürlich völlig unbekümmert, aber tief in ihrem Inneren feierte sie einen Sieg.

Zum Frühstück mit ihrer erfahrenen Kollegin Veronika schwätzten die beiden Frauen unter sich munter drauflos. „Du bist heute so aufgekratzt“, meinte Veronika. „Na ja, es ist doch ein schöner Tag, und die Arbeit macht mir Spaß. Mein Chef ist immer sehr nett, hat stets ein freundliches Wort. Er ist so gepflegt, ein richtiger Mann von Welt“. Veronika lachte aus voller Brust: „Schätzchen, weißt du eigentlich was das ist, ein Mann von Welt? Das ist einer, den seine Frau herausgeputzt hat, der hochtrabende Reden hält, Getränke mixen und nur mit Mühe seine Freundinnen auseinander halten kann!“ „Ach was du nur wieder hast“ meinte Fräulein Linde geknickt. „Jedenfalls müsste der Mann, den ich mal finde, so sein wie mein Chef.“